16. Mai 2016

Les farceurs

Fünf Filme von Philippe de Broca mit Jean-Paul Belmondo

Zunächst Wochenschaukameramann in Algerien, später Assistent von Claude Chabrol und François Truffaut, inszenierte Philippe de Broca (1933-2004) drei Lustspiele mit Jean-Pierre Cassel im Stil und Geist der Nouvelle Vague, bevor ihm die Zusammenarbeit mit Jean-Paul Belmodo (*1933) den Durchbruch beim Publikum brachte. Nach »Cartouche« (1962) drehten de Broca und sein Lieblingsstar noch eine ganze Reihe von Filmen, die das Bild Belmondos als dynamischer Held des romantisch-exotisch-komödiantischen Abenteuerkinos prägen sollten.


1962 | »Cartouche« (»Cartouche, der Bandit«)

»Vivre vite et heureux!« Die Aktivitäten des ausgebufften Langfingers Dominique (Hansdampf in allen Gassen: Belmondo), der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Namen Cartouche zum Anführer der Pariser Unterwelt aufschwingt, lassen eine Vorahnung der großen Revolution aufscheinen. Cartouche, der mit seiner bunten Truppe – darunter die treuen Hauptleute La Douceur (bärig: Jess Hahn) und La Taupe (pfiffig: Jean Rochefort) sowie die schöne Diebin Vénus (Claudia Cardinale) – von den Reichen nimmt, während er die Armen verschont, geht es freilich weniger um gesellschaftliche denn um finanzielle Partizipation, vor allem aber um die Unterminierung von Herrschaftssystemen, egal ob es sich um die raffgierige Despotie des Bandenchefs Malichot oder um das sadistische Regime des Polizeipräfekten de Ferrussac handelt. Nachdem er in der ersten Hälfte des Films die galanten Unverschämtheiten des anarchistischen Rebellen mit viel Lust an akrobatischer Körperkomik und ironischen Sottisen gegen jede Form von Obrigkeit ausgemalt hat, wechselt de Broca fast unmerklich die Tonlage der Erzählung: In zunehmender Verdüsterung wandelt sich das flotte Mantel-und-Degen-Stück zur melancholischen Romanze in Moll (in die auch die ätherische Madame de Ferrussac verwickelt ist). Nach einer bitteren Schlußwendung geht der Held nicht nur seiner großen Liebe verlustig, er muß auch die Unmöglichkeit einer spielerischen Systemveränderung erkennen. Vor ihm und seinen Getreuen liegen kalte Nächte und ein vorhersehbares Ende: »Dans les mains du bourreau.« – »Oui, et que ça aille vite.«

1964 | »L’homme de Rio« (»Abenteuer in Rio«)

»Quelle aventure!« Die Mutter aller Abenteuerkomödien: Belmondo zu Lande, zu Wasser und in der Luft auf der Jagd nach dem sagenumwobenen Schatz der Malteken. Die von de Broca fröhlich entfesselte Hatz beginnt in Paris, führt den Soldaten Adrien Dufourquet über Rio und Brasília (das sich gerade als weißer Traum der Moderne aus dem roten Staub des Nirgendwo erhebt) an den Amazonas und in den (noch) dichten südamerikanischen Regenwald – um, genau nach einer Woche (»huit jours de perme«), dort zu enden, wo alles begann: auf einem Bahnhof in der französischen Kapitale. »L’homme de Rio« ist der schönste Comic, den Hergé nie gezeichnet hat, ist ein fröhlicher Alptraum aus glücklicher Zeit, ist ein Schau- und Staunstück der ungedrosselten filmischen Phantasie, ist eine fulminante Schnitzeljagd durch alle Klischees des Genres – eine exaltierte Frau und ein überrumpelter Held, ein polternder Superreicher und ein verschlagener Professor, tödliches Pfeilgift und gefräßige Krokodile, eine romantische Nacht am Strand und ein millionenschweres Geheimnis – kurzum, »L’homme de Rio« gleicht einem Assortiment luftiger Macarons: süß und verlockend, künstlich bunt und unwiderstehlich lecker; und als Himbeere obendrauf gibt es die einzigartige (auf ewig in der überschwenglichen Schönheit ihrer zwanziger Jahre bewahrte) Françoise Dorléac. Für die kinematographischen Zuckerbäcker (für Regisseur, Schauspieler, Autoren und nicht zuletzt für den verträumt-aufgekratzten Kom­ponisten George Delerue) sollte man ein Monument errichten: in rosa mit grünen Sternen.

1965 | »Les tribulations d’un Chinois en Chine« (»Die tollen Abenteuer des Monsieur L.«)

Belmondo als poor little rich boy Arthur Lempereur, der von seinem sorgenfreien aber glücklosen Leben zu Tode gelangweilt ist und einfach nur sterben möchte. Weil alle Suizidversuche kläglich scheitern, beauftragt der Daseinsmüde einen wohlmeinenden Freund, die Vollstreckung seines letalen Wunsches zu organisieren. Just zu diesem Zeitpunkt verliebt sich Arthur in die hinreißende Alexandrine (Ursula Andress als unternehmungs­lustige Stripteasetänzerin) – wodurch sich dem Milliardär Wert und Sinn der menschlichen Existenz urplötzlich erschließen. Die nun folgende halsbrecherische Flucht (bzw. Jagd) vor (bzw. nach) den Killern, die ihn von seinem Seelenleiden befreien sollten, führt den Todeskandidaten – nebst taffer Flamme und würdevollem Butler Léon (Jean Rochefort) – von Hongkong nach Indien, hoch hinauf in den Himalaya und tief in den asiatischen Dschungel, hinaus aufs Meer zu tropi­schen Inseln und wieder zurück in den heimischen Hafen. Frei nach einem Roman von Jules Verne (und mit reichlich Anspielungen auf die gefahrvollen Abenteuer von Tim und Struppi versehen) entzündet de Broca ein chinesisches Feuerwerk des tollkühnen Slapstick und der possenhaften Nervenkitzel, ohne allerdings die saloppe Leichtigkeit des brillanten Vorgängers »L’homme de Rio« noch einmal zu erreichen.

1973 | »Le magnifique« (»Der Teufelskerl«)

Comment détruire la réputation du plus célèbre agent secret du monde? … Die Zerstörung der Reputation des berühmtesten Geheimagenten der Welt – Bob Saint-Clar (mondän-machistisch: Belmondo) – findet statt in der bescheidenen Wohnung des Pariser Pulp-Schriftstellers François Merlin (romantisch-verschlampt: Belmondo), der im Auftrag eines schmierigen Schundverlegers (Vittorio Caprioli), umwölkt vom Rauch ungezählter Zigaretten, bereits 42 Abenteuer des umwerfenden Supermanns in seine klapprige Schreibmaschine gehackt hat … De Broca serviert einen Cocktail aus schrillbunter Actionfarce und zauberhafter Sozialburleske, ein amüsant-gewitztes Lust- und Frustspiel voller doppelter Erzählböden und fließender Übergänge zwischen Fiktion und Traum, Wille und Wahn: Immer wieder geraten dem zunehmend entnervten Zeilenschinder dichterische Erfindung und triste Wirklichkeit durcheinander, etwa wenn eine reale Putzfrau den Staubsauger plötzlich durch ein imaginiertes Feuergefecht am Strand von Mexiko schiebt, wenn sich der fiese Verlagsleiter in den mit allen Wassern der Bosheit gewaschenen albanischen Geheimdienstchef Karpov verwandelt, oder – in Sonderheit – wenn die von François heimlich angeschwärmte Studentin Christine (sexy-charmant: Jacqueline Bisset) zur rasanten Topspionin Tatiana (blasiert-betörend: Jacqueline Bisset) mutiert. Zum glücklichen Schluß läßt der Autor sein präpotentes Alter Ego genüßlich über die literarische Klinge springen – gleichermaßen ein Akt künstlerischer Emanzipation wie auch ein Abschied von virtualen Wunscherfüllungswelten.

1975 | »L’incorrigible« (»Der Unverbesserliche«)

Kaum aus dem Gefängnis entlassen, geht Victor Vauthier (ungehemmt: Belmondo) schon wieder seinen zwielichtigen Geschäften nach. Ob er zum x-ten Mal das Luxusappartement einer betuchten Geliebten verscherbelt oder nichtexistierende Waffen an kriegslüsterne afrikanische Generäle losschlägt, vor keiner Escroquerie schreckt der spitzbüberische Lebenskünstler zurück. Gleich Fantômas ein Meister der Maske, liegt dem charmanten Tausendsassa jedoch jede Bosheit fern. De Broca zeigt den professionellen Bluff als genuines Lebensmodell im entwickelten Kapitalismus und präsentiert mit Victor nicht nur einen turbomotorisch-unverbesserlichen Hochstapler und fröhlich-asozialen Trickbetrüger sondern vor allem einen erfindungsreichen Impressario des eigenen Lebens und fantasievollen Verführer, dessen famose Gaunereien auch scheinbar gefestigte Charaktere in halbseidene Welten zu entführen vermögen – wie zum Beispiel die pflichteifrige Bewährungshelferin Marie-Charlotte Pontalec (Geneviève Bujold), die eher zufällig, aber durchaus geneigt die Freuden der Gesetzlosigkeit entdeckt. Die kriminelle Erweckung der jungen Frau ist – Ironie des schwindlerischen Schicksals! – zugleich der Moment, da der Mann für alle Fälle an die Grenzen seines Improvisationstalents stößt.

Nach ihrem fünften gemeinsamen Film entzweiten sich de Broca und Belmondo, der inzwischen zu seinem eigenen (Ko-)Produzenten geworden war. Im Jahr 2000 nahmen Regisseur und Schauspieler ihre künstlerische Beziehung noch einmal auf, doch »Amazone« fand weder Anklang beim Publikum noch das Wohlwollen der Kritik.

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