6. Dezember 2015

Last Man Standing

Kino | »Bridge of Spies« von Steven Spielberg (2015)

»Was macht uns zu Amerikanern?« fragt Jim Donovan, der aufrechte Anwalt aus Brooklyn, seinen winkelzügigen Gesprächspartner von der Agency. (Und es klingt, als meinte er: Was macht uns zu Menschen?) Es ist, sagt Donovan, die gemeinsame Verpflichtung auf das »rulebook«, auf die Verfassung. Donovan glaubt an die Verbindlichkeit des Regelwerks, und auch Steven Spielberg glaubt daran, sonst hätte er »Bridge of Spies« wohl nicht gemacht, nicht machen können. Natürlich wirkt diese Gesinnung, über ein halbes Jahrhundert nach den Ereignis­sen, von denen das Drama  handelt, nach etlichen Brüchen der Verfassung durch eben jene, die geschworen hatten, sie zu wahren, zu schützen und zu verteidigen, einigermaßen rührend – aber auch berührend. Donovans Mission, die inoffizielle Verhandlung über den Austausch eines sowjetischen Atomspions (dem er selbst als Pflichtverteidiger ein halbwegs faires Verfahren verschaffte) gegen den bei Swerdlowsk abgeschossenen CIA-Piloten Gary Powers, führt im Winter 1961/62 in das geteilte Berlin, die Haupt- und Frontstadt des Kalten Krieges. Temperatur und politisches Klima sind auf dem Gefrierpunkt, die Zeit wird beherrscht von Feindschaft, Polemik und Angst. Spielberg setzt dagegen Verständnis, Gesprächsbereitschaft und Zuversicht eines Einzelnen, der mit seinen Mitteln zwar nicht den Weltkonflikt löst, aber immerhin eines der vielen brisanten Einzelprobleme, aus denen der große Schlamassel besteht. Bei aller Ernsthaftigkeit der erzählerischen Anlage kommen Spannungselemente nicht zu kurz – da kann (und will) der Moralist Spielberg den Entertainer nicht verleugnen. (Manchmal übertreibt er die Dramatik ein wenig, etwa wenn Donovan aus der S-Bahn die Erschießung von Flüchtlingen an der Berliner Mauer beobachtet, und dieses Erlebnis später im Film sülzig variiert wird.) Tom Hanks (als dauerverschnupfter US-Unterhändler) und Mark Rylance (brillant als stoischer KGB-Kundschafter Rudolf ›Would it help?‹ Abel) bringen darüber hinaus eine gehörige Portion Ironie in den souverän inszenierten Film ein. Nach all den historischen Lehrstunden, die Spielberg seinem Publikum über die Jahre erteilt hat, wäre es freilich einmal interessant zu sehen, wie das ethische Empfinden des Regisseurs auf die prekären Fragen der Gegenwart reagierte.

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