17. März 2015

Kino aus der Zwischenzeit (3)

Westdeutsche Filme der 1980er Jahre

Seit Beginn der Tonfilmära spielten Musik und Gesang im deutschen (und österreichischen) Kino eine herausragende Rolle: Leinwand-»Operetten« wie »Die Drei von der Tankstelle« und »Der Kongreß tanzt« setzten Standards für das Filmmusical; in den 1930er Jahre bildete sich mit dem Revuefilm (der Stars wie Marika Rökk und Johannes Heesters hervorbrachte) ein spezifisch deutsche Spielart des Genres heraus, die in den 1950er Jahren vom Schlagerfilm (der die Popularität von Sängern wie Peter Alexander, Freddy oder Rex Gildo steigern sollte) abgelöst wurde; auch das DDR-Staatsfilmstudio DEFA stellte neben sozialistischer Erbauungskost eine Reihe von unterhaltenden Musikfilmen her. Zur Zeit des »Neuen Deutschen Films« verschwand das Genre vollständig aus der westdeutschen Produktion, um (begünstigt vom Erfolg der »Neuen Deutschen Welle«) in den 1980er Jahren ein kurzes Revival zu erleben.


1983 | »Gib Gas – Ich will Spaß« von Wolfgang Büld

»Scheißegal, es wird schon geh’n.« Robby, der Neue in der Abiturklasse, verknallt sich in Tina, die ihrerseits in den Rummelplatzhirsch Tino verknallt ist und von Robby nichts wissen will – daß Tina und Robby am Ende des Films ein Liebespaar sein werden, ist mithin so klar wie Kloßbrühe. Ohne viel Federlesens setzt Wolfgang Büld die »Handlung« in Gang: Tino verläßt die Stadt, Tina will ihm nach und schmeißt sich an Robby ran, der eine Vespa sein Eigen nennt. Die Verfolgung führt von München (mit Zwischenaufenthalten in einem oberbayerischen Pensionszimmer und einer voralpinen Jagdhütte) nach Venedig, die Verkehrsmittel wechseln von Motorroller zu Kühltransporter zu Reisebus zu Suzuki-Jeep zu Eisenbahn, und weil die drei Hauptfiguren von neuen deutschen Schlagersängern gespielt werden, werden an der Strecke neue deutsche Schlager gesungen: »Kleine Taschenlampe, brenn«, »Nur geträumt«, »Feuerwehrmann«. Das musikalische Road-Movie, eine lose Abfolge harmloser Albereien, von Büld leider recht trantütig inszeniert, von Heinz Hölscher bieder-funktional ins Bild gesetzt, besteht in erster Linie aus aufgekratztem Gekicher (Nena als Tina), goldiger Begriffsstutzigkeit (Markus als Robby), proletenhafter Charmebolzerei (Endrick ›Enny‹ Gerber als Tino) und Karl Dall (als lustige Person in fünf verschiedenen Rollen). Von Gasgeben kann bei diesem lauwarmen Conny-und-Peter-Aufguß so wenig die Rede sein wie von Spaßhaben, und das romantische venezianische Finale der Klamotte findet, nur allzu passend, unter einem bleischweren Herbsthimmel statt: »Ich schalt mich ein, ich schalt mich aus.«

1984 | »Im Himmel ist die Hölle los« von Helmer von Lützelburg

»Ich mache schwi-ipp, ich mache schwa-app.« Mimi Schrillmann (Billie Zöckler), Schülerin aus Käseburg, vergöttert, wie alle Mädchen ihrer Klasse, den berühmten Showmaster Willi Wunder (Dirk Bach) vom ›Kanal 62‹. Als das Hotel Himmel in Mimis Heimatstädtchen zum nächsten Ausstrahlungsort von Willis beliebter Unterhaltungssendung (»Wir bieten Spiel und Spaß, / Da gibt’s für jeden was.«) gekürt wird und dortselbst eine Nachfolgerin für die überraschend zu Tode gekommene Assistentin Beate gesucht werden soll, brennen bei den pubertären Fans alle Sicherungen durch … Zur gleichen Zeit, da in der Bundesrepublik die ersten privaten (= kommerziellen) Fernsehsender ihre Programme starten, wagt Helmer von Lützelburg – in Form eines genial-dilettantischen Singspiels – den Blick in die Zukunft der Spektakelgesellschaft. Nicht nur die Besetzung des kultisch verehrten Moderators mit dem künftigen TV-Star Dirk Bach erweist sich dabei als einigermaßen visionär, auch überschwenglich-debile Werbespots (»Kauf dir die Liebe von Millionen!«) und Figuren wie die intrigante Klatschbase Vanessa Video (die Mutter aller Boulevardschnepfen vom Schlage einer Frauke Ludowig) geben einen süßsäuerlichen Vorgeschmack auf kommende mediale Entgleisungen. Der imposante Cast vereint Schlachtrösser der Kleinkunst (Ortrud Beginnen, Walter Bockmayer, Beate Hasenau) und robuste Vollweiber (Elma Karlowa, Cleo Kretschmer, Barbara Valentin), Fassbinder-Witwen (Harry Baer, Kurt Raab) und eine sprechende Toilette; Musik, Ausstattung und Kostümbild (Zöckler im Fix-und-Foxi-Pyjama!) schlagen eine goldene Brücke von der heiteren Drittklassigkeit alter Géza-von-Cziffra-Streifen zur selbstbewußten Abgeschmacktheit billiger Travestieshows: »Im Himmel ist ein Wölkchen frei. / Engel warten auf dich Tag für Tag.«

1985 | »Richy Guitar« von Michael Laux

»Wollt ihr das totale Brötchen?« Richard (Farin Urlaub) wohnt noch zu Hause, wo seine hochfliegenden Träume auf wenig Verständnis stoßen: Er solle sich endlich eine Stelle suchen, fordert der genervte Vater, doch der leidenschaftliche Gitarrist arbeitet – zusammen mit seinen Kumpels Igor (am Schlagzeug: Bela B.) und Hans (am Baß: Sahnie) – lieber auf den Durchbruch als Musiker hin. Statt »Die Ärzte« zu Helden eines konventionellen Aufstiegsmärchen zu machen, stückelt Michael Laux eine flapsige Nummernrevue des Un- und Mißgeschicks mit ein paar melancholischen Zwischentönen zusammen: Geldprobleme, Liebesleid, Zoff mit Autoritäten, Zank unter Freunden, dazu ein sprödes happy ending. Die unverblümt zur Schau gestellte schauspielerische Minderbegabung der Protagonisten wird durch ihre grundsympathische Schnoddrigkeit mehr als ausgeglichen, und Hans-Günther Bückings Kamera registriert (ohne verquaste Wenders’sche Poetenpose) das leicht außerirdische Westberliner Lokalkolorit der späten Mauerjahre: ein Lager für Senatsreserven, Gänge über das verwilderte Südgelände, eine fahrende Bühne an der Avus-Tribüne, das Leben in feuchten Abrißhäusern, eine nächtliche Party im Grunewald, Straßenmusik in der Wilmersdorfer Straße, ein Konzert im ›Metropol‹ (mit einem Gastspiel von Nena). Kurze Auftritte von Ingrid van Bergen und Horst Pinnow (als Richards kleinbürgerliche Eltern) sowie von Nachtclub-König Rolf Eden (als alerter Impressario) runden das gelungene Spaßpunk-Happening stilvoll ab.

1986 | »Johnny Flash« von Werner Nekes

»Jürgen, du sollst jetzt endlich aufstehen!« … The Schlagerfilm to end all Schlagerfilms: die Geschichte von der Verwandlung des singenden Mülheimer Elektrikers Jürgen Potzkothen in den Hitparaden-Star »Johnny Flash«. Hin- und hergerissen zwischen der taffen Redakteurin Cornelia Dohm (»Wir proben das dann durch.«) vom TV-Sender ›Musik SAT‹ (»Wir bringen Musik satt.«), dem umtriebigen Agenten Terence Toi (»Immer wenn mein kleiner Finger zuckt, liegt für mich Musik in der Luft.«) von der Künstlervermittlung Toi, Toi & Toi und der dominanten Mutter Potzkothen (»Wenn du mit deiner Mutter unterwegs bist, dann kommst du immer rechtzeitig in die Disco.«) tappt Jürgen lange Zeit traumverloren durch sein Leben, bevor er mit dem Song »Halt mich fest« endlich wie eine »Rakete am deutschen Schlagerhimmel« aufsteigt: »Talente wie Johnny Flash machen immer ihren Weg. Ihnen steht der Erfolg ins Gesicht geschrieben.« In authentisch-minimalistischen Ruhrgebiet-Settings verkörpert Multitalent Helge Schneider (noch ganz am Anfang der eigenen triumphalen Laufbahn stehend) neben der Titelrolle auch die Künstler Bill Burns (»Texas«), Pierre Lavendel (»Hunderttausend Rosen«), Roy Kabel (»Es hat gefunkt bei mir«), Christoph Schlingensief (»Alles ist mir egal«) und Dick Dynamics (»Disco Dancing«). Werner Nekes amüsant-experimentelle Meta-Gaga-Posse, gleichermaßen spinnerte Dekonstruktion wie absurde Apotheose der Gattung Musikfilm, erscheint in ihrer improvisationsfreudigen Spontaneität und ihrer engagierten Laienhaftigkeit als richtungsweisender Vorläufer der spätdadaistischen Komödien von Schneider sowie der Guerilla-Satiren des Nekes-Schülers Schlingensief … »Mann, laß mich doch noch’n bißchen schlafen. Ich träum grad so schön.«

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