23. Februar 2015

Kino aus der Zwischenzeit (2)

Westdeutsche Filme der 1980er Jahre

Nach der künstlerischen Erstarrung des Neuen Deutschen (Autoren-)Films waren die Achtziger das (bislang) letzte Jahrzehnt, in dem Thriller und Krimis, Geschichten über Verbrechen und Strafe, über Kriminelle und Polizisten von deutschen Regisseuren mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf die Kinoleinwand gebracht werden konnten, bevor das Spannungsgenre seinen Platz endgültig (und zumeist streng formatiert) im Fernsehen fand.


1981 | »Kalt wie Eis« von Carl Schenkel

»Fuck art! Let’s dance!« Der 20jährige Dave Balko (Dave Balko) sitzt im Westberliner Jugendknast Plötzensee, weil er geklaute Motorräder frisiert hat. Auftraggeber Kowalsky (Otto Sander) kümmert sich einen Scheißdreck um den Kleinkriminellen, und auch Freundin Corinna (Playmate Brigitte Wöllner) läßt nichts mehr von sich hören. Dave hat die Schnauze voll, fingiert einen Selbstmordversuch, flüchtet aus dem Rettungswagen. Ein Wachmann kommt dabei zu Tode. Dave wird zum Gejagten, der die Aufmerksamkeit immer neuer, immer brutalerer Verfolger auf sich zieht. Carl Schenkel folgt seinem zum Scheitern verurteilten Helden auf dem ziellosen Weg durch die eingemauerte Stadt, zeigt ein zunehmend verzweifeltes Hin und Her zwischen leeren Fabriketagen und plüschigen Nachtbars, schrottigen Garagen und ultracoolen Szeneclubs. Daves Bewegung durch Neonhelle und Stockfinsternis gleicht dem hektischen Lauf einer Flipperkugel, die unter fortwährendem Schlagen und Schleudern, Abprallen und Zurückstoßen unweigerlich aufs Game Over zusteuert. Den treibenden Soundtrack zu diesem intensiven No-Future-Presto, das mit dem Vorzeigen blutiger Tätlichkeiten nicht geizt, liefern (zumeist im On) zeitgeistige New-Wave-Musiker wie Blixa Bargeld (»Ich sterbe an Skorbut!«), die Neonbabies (»Ich steh im Regen und warte / auf nichts.«), Malaria (»Kämpfen und siegen
/ und sterben und lieben.«), Thomas Voburka (»Romantik adieu, / willkommen Realität.«) oder Tempo: »Baby, Baby, meine Nerven sind heiß. / Baby, Baby, und du: so kalt wie Eis.« Vor dem Hintergrund der Hausbesetzerbewegung und des Affärensumpfes der frühen 1980er Jahre verbindet Schenkel mit exploitativer Eleganz knallige Sozialkolportage und Darstellung der Westberliner Subkultur; auch die Besetzung spiegelt die harten Brüche des »unheimlichen Ortes«: Hanns Zischler spielt den Chef des legendären SO36, Rolf Eden verkörpert einen schmierigen Unternehmer aus dem Grunewald. Irgendwo dazwischen: Dave, der Prügelknabe, der Fremdkörper. Sein Ausbruch aus dem Teufelskreis kann nur ein endgültiger sein: Wenn Dave den amerikanischen Sektor verläßt, wird er es für immer tun.

1984 | »Abwärts« von Carl Schenkel

»Hier ist alles total im Arsch.« Vier Personen und ein defekter Hochhauslift sind die Ingredienzen für Carl Schenkels schlagend einfache Thriller-Anordnung. Der großtuerische Jörg (Götz George), ein Werbefuzzi, der seinen kreativen Zenith längst überschritten hat, und dessen junge Kollegin Marion (Renée Soutendijk), die sich auf dem Weg nach oben wähnt, der coole Pit (Hannes Jaenicke), der seine Verlorenheit hinter arrogantem Gepose versteckt, und der zugeknöpfte Gössmann (Wolfgang Kieling), ein Buchhalter, dessen Aktentasche schmutzige Geheimnisse birgt, bleiben an einem Freitagabend nach Geschäftsschluß zusammen im Aufzug stecken. Als die Hilferufe der geschlossenen Gesellschaft ungehört verhallen, kochen die Emotionen hoch. Trotz prekärer Lage stellt sich kein Wirgefühl ein – die mehr oder weniger erfolgversprechende Ausbruchsversuche werden eher gegen- als miteinander unternommen. Auch wenn – oder: gerade weil – es sich bei den vier Protagonisten nicht um psychologisch vielschichtige Figuren sondern um holzschnittartig gezeichnete Figurinen handelt, treten, wie unter Laborbedingungen, allzumenschliche Verhaltensmuster zutage: Imponiergebaren und Aggression, Reserve und Hohn, Hinterlist und Berechnung. Schenkel knautscht das begrenzte Setting visuell gekonnt aus, wobei er den Sozialstreß, der sich im engen Metallkäfig entwickelt, clever als Treibstoff der filmischen Spannungsmaschine nutzt. Die straffe Inszenierung läßt weitgehend vergessen, daß die technischen Abläufe und das Handeln der Beteiligten weniger logischer Nachvollziehbarkeit denn dramaturgischer Notwendigkeit folgen. »Abwärts« entwickelt bei aller formalen Geschliffenheit kaum erzählerische Tiefe, doch ein interpretationsfähiger Schlußeffekt zieht unter der gelackten Oberfläche der funktionalen Kinokonstruktion überraschend einen doppelten Boden ein.

1985 | »Kaminsky« von Michael Lähn

Eine schummrige Kneipe. Ein dröhnender Deckenventilator. Darunter hockt ein kompakter Mann im Unterhemd. Schwitzt. Ißt schmatzend. Mustert stumm den Wirt. Der Wirt ist nervös. Zerbricht ein Glas. Der Mann bleibt bedrohlich ruhig. Ein smarter Typ betritt die Kneipe. Er hat den Sohn des Wirts mit Drogen versorgt. Jetzt will er sein Geld. Der Mann erteilt dem Typen eine kurze, schmerzhafte Lektion. Er bricht ihm einen Arm. Der Typ wankt aus der Kneipe. Er wird nicht wiederkommen. Der Mann setzt seine Dienstmütze auf. Er ist Polizist. Er heißt Kaminsky. Die rund siebenminütige Szene bildet das Präludium zu einer kammerspielhaften Psycho-Drama-Thriller-Abstraktion, die Zerrüttung und Untergang des aggressiv-kaputten Titelhelden im Laufe einer gewitterschwülen Nacht schildert. Klaus Löwitsch verkörpert dieses dampfende, brütende Kraftpaket mit einer Art tödlichen Vitalität; schon der Anblick seines Stiernackens im ersten Bild des Film verheißt das böse Ende der Erzählung, deren zentraler Schauplatz ein vom Präsidium längst vergessenes Polizeirevier am Rande der Stadt ist. Kaminsky, der vor Jahren wegen eines Amtsvergehens aufs Abstellgleis geschoben wurde, sein jüngerer (und dünnhäutigerer) Kollege Strecker (Alexander Radszun) und Kaminskys desillusioniert-erotische Ehefrau Nicole (Hannelore Elsner) machen sich, wie die Insassen von Sartres Höllensalon, das Leben gegenseitig zur Qual; der Auftritt einer vorlauten Trebegängerin (Beate Finckh) bringt das brisante Gemisch aus Frust, Haß, Lust und Wut zur Explosion. Michael Lähn gestaltet seine erste und letzte Arbeit fürs Kino als klaustrophobische Stilübung, als eisige Verhaltensstudie, als stahlblauen Totentanz. Visuell deutlich beeinflußt von der antinaturalistischen Künstlichkeit des ›cinéma du look‹, wäre »Kaminsky« in puncto Handlungsführung und Dialog mehr Mut zur Stilisierung zu wünschen gewesen: Ein gewisser Hang zur psychologischen Herleitung und zum wortreichen Ausbuchstabieren gefühlsmäßiger Regungen nimmt dem Film zeitweise einiges von seiner beachtlichen minimalistischen Wucht.

16. Februar 2015

Kino aus der Zwischenzeit (1)

Westdeutsche Filme der 1980er Jahre

Die achtziger Jahre in der Bundesrepublik: die Zeit von Helmut Kohl und neonfarbenen Cocktails, die Zeit zwischen Nato-Doppelbeschluß und Mauerfall. Anfang des Jahrzehnts neigte sich die Ära des »Neuen Deutschen Films« dem Ende zu: Wenders, Herzog, Schlöndorff gingen nach Amerika, Australien, Frankreich, mit Fassbinders Tod verlor das westdeutsche Autorenkino sein Kraftzentrum. »Die meisten filmgeschichtlichen Betrachtungen charakterisieren die 1980er Jahre als eine Periode künstlerischen Verfalls.« (Sabine Hake: »Film in Deutschland«) Vielleicht deshalb, weil eine neue Generation von Filmschaffenden anrüchige Begriffe ins Spiel brachte: Unterhaltung und Genre, Professionalität und Handwerk; vielleicht aber auch, weil so manch hochfliegender Anspruch, aus dem Stand routiniert-publikumswirksames deutsches Kinoentertainment zu schaffen, nicht oder nur unvollkommen eingelöst werden konnte. Doris Dörrie und Dominik Graf begannen ihre verhältnismäßig beständigen Karrieren, eine Reihe von Fernsehkomikern eroberte die große Leinwand, für viele andere Regisseure waren Erfolg und/oder Publizität, wenn überhaupt, lediglich von kurzer Dauer: Carl Schenkel und Eckhart Schmidt, Percy Adlon und Peter F. Bringmann (um nur einige Namen zu nennen) verschwanden schnell wieder in der Versenkung oder tauchten ab in den Anstalten des öffentlichen Rechts. Das westdeutsche Kino der achtziger Jahre erscheint wie ein Nebelfeld, aus dem ein paar prominente Spitzen ragen: »Das Boot« und »Otto – Der Film«, »Männer« und »Die Katze«. Im Dunst liegt das Vergessene, das Verlachte, das Verdrängte. Das »Magazin des Glücks« würdigt (unter Berücksichtigung von Vor- und Nachläufern dieser sonderbaren Zwischenzeit) in loser Folge Werke, an die sich die Filmgeschichtsschreibung (noch) nicht erinnern will … Gewidmet ist die Rückschau: Kati, Jenny, Vincent, Frizz und ihrer Hoffnung auf Momente eines schrillen Glücks.


1982 | »Der Fan« von Eckhart Schmidt

»Nur ein Augenblick für ein ganzes Glück.« Simone (Desirée Nosbusch) liebt R (Bodo Staiger). R ist ein Star. Simone ist Rs größter Fan. In Simones Jugendzimmer hängt ein Starschnitt von R. Daneben hängt das Bild einer Masse von Menschen mit ausgestreckten rechten Armen. R macht Musik. Simones Ohren scheinen mit den Kopfhörern des Walkmans, der nichts anderes spielt als Rs Musik, vollkommen verwachsen zu sein. Simone schreibt Briefe an R: Sie wisse, daß sie ihn glücklich machen könnte. R antwortet nicht. Simone ignoriert ihre Eltern, vernachlässigt ihre Freunde, verweigert sich der Schule, entkoppelt sich vom Alltag. Simone trampt von Ulm nach München, um R zu treffen. Sie begegnet ihm vor dem Fernsehzentrum. Er sieht sie – und es liegt so etwas wie Erkennen in seinem Blick. Weiß er um die Gefahr? Akzeptiert er unbewußt sein Schicksal? R nimmt Simone mit: zum Auftritt ins Studio, in seinen Rolls Royce, in eine unbewohntes Apartment. Eckhart Schmidts »Tagebuch einer Sechzehnjährigen« entwickelt in tranceartiger Langsamkeit und sachlichen, fast klinischen Bildern die beklemmend zwangsläufige Annäherung des Fans an das Objekt der totalen Verehrung. Der emotionslosen Optik entspricht der minimalistische, sich in unentrinnbaren Endlosschleifen ergehende Soundtrack der Gruppe »Rheingold«. Es kommt, wie es kommen muß. Der Star nimmt sich, was er will, aber er gibt weniger, als von ihm erwartet wird. Also nimmt sich der Fan, was ihm angenommenerweise zusteht: alles. »Und wenn du alles hast, / dann spürst du die Last, / des Augenblicks.« Mit kalter Distanz erforscht Schmidt die unheimliche Wechselwirkung von Ruhm und Huldigung und damit einen verrückten Teufelskreis von Angebot und Nachfrage, der nichts anderes ist als ein gegenseitiges Verschlingen, Verbrauchen, Verwerten. Das große Fressen hinterläßt zwei Sorten von Leichen: Die einen sind tatsächlich tot, die anderen leben weiter und tragen den süßen Wahn in die Zukunft. »Nur ein Augenblick, / dann bleibt nichts zurück.«

1985 | »Alpha City« von Eckhart Schmidt

»It was falling so hard all the sky became closed and the day was night.« Drei in einer großen Stadt: Frank, Raphaela und ein namenloser Amerikaner – der verliebte Berserker, die unnahbare Schöne und der coole Killer. »Alpha City« – der Name der Stadt (und des Films) erinnert wohl nicht ganz zufällig an »Alphaville«, und so wie Jean-Luc Godard das nächtliche Paris der 1960er Jahre als phantasmagorischen Raum einer lieblosen Zukunft gezeigt hat, präsentiert Eckhart Schmidt das nächtliche Westberlin der 1980er Jahre als Stätte einer außerzeitlichen Allgegenwart. Wo Godard mit dem pulpigen Lemmy-Caution-Mythos spielte, um die Mechanismen einer entmenschten Überwachungsgesellschaft darzustellen, zieht Schmidt alle Register von Melodram und Gangsterfilm, um die Verlockungen und Gefahren einer ewigen Metropolennacht zu beschwören. Beim Intellektuellen Godard siegte die Liebe, dieses seltsame Spiel, beim Romantiker Schmidt triumphiert der Tod, das letzte Ziel des Lebens. Schmidts Notturno erzählt von der verzehrenden Leidenschaft eines bulligen Pianisten (Claude-Oliver Rudolph) zu einer abweisenden Verführerin (Isabelle Gutzwiller), deren kaltes Herz für einen stylisch-mysteriösen Fremden (Al Corley) entbrennt, der in Travis-Bickle-Manier (aber mit besseren Manieren) der Hure Babylon den Kampf angesagt hat. Wiewohl Schmidt das klischee- und sagenhafte Bild der archetypischen Großstadt zu zeichnen sucht, gerät sein neonglänzendes Nachtstück (nicht eine einzige Szene wurde bei Tageslicht gedreht!) zur akkuraten Vermessung eines konkreten Ortes zu einer bestimmten Zeit: »Alpha City« spielt unter dem rotierenden Mercedes-Stern des Europa-Centers und im ›Metropol‹ am Nollendorfplatz, im Restaurant ›Bovril‹ am Kurfürstendamm und im Olympiastadion, in der Maisonettewohnung eines Baller-Baus und im ›New Eden‹ während einer (vom Chef höchstpersönlich moderierten) Striptease-Show. Immer wieder wird die Stadt in kurzen, im Rhythmus eines erhöhten Herzschlags geschnittenen Sequenzen zur eigentlichen Hauptdarstellerin des Films, der so artifiziell daherkommt wie die begleitende Synthpop-Musik von Trio, Yello, Boytronic und anderen. Das fatale Ende antizipiert das Schicksal des Schauplatzes Westberlin, dessen Rolle als geheimnisvolle Hauptstadt einer dunklen Zwischenzeit bald schon Geschichte sein wird: »I'm burning in the morning sun.«

15. Februar 2015

Einigkeit und Recht und Filme

Buch | »Good Bye, Fassbinder! – Der deutsche Kinofilm seit 1990« von Pierre Gras (2011/2014)

Die erste Geschichte des deutschen Films seit der Wiedervereinigung wurde von einem Franzosen vorgelegt: Pierre Gras, laut Verlagsangabe langjähriger Mitarbeiter der Cinématèque française und Dozent für Filmökonomie an der Sorbonne, hat eine Revision der künstlerischen und ökonomischen Entwicklung des gesamtdeutschen Kinos unternommen. Ausdrücklich verzichtet Gras auf den Anspruch der Totalität, er konzentriert sich (nicht ganz konsequent) auf jene Kreativen, die nach 1990 die Szene betraten – kein Wort also über neuere Filme von Wenders oder Schlöndorff, Dörrie oder Thome. Gras’ Präferenzen sind klar verteilt. Im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stehen die »Kräfte der ästhetischen Erneuerung«, also Filmschaffende, die sich aufgrund ihres Strebens nach eigenständigen Ausdrucksformen in die Tradition des Autorenfilms einordnen lassen: allen voran die »Berliner Schule«, in Frankreich als »Nouvelle vague allemande« bezeichnet (zwei Etikettierungen, die Gras kritisch hinterfragt) mit ihren Protagonisten Petzold, Schanelec, Hochhäusler, außerdem Romuald Karmakar, dem als einzigem Regisseur ein eigenes Kapitel gewidmet ist, schließlich mit Harun Farocki und Alexander Kluge zwei Angehörige älterer Generationen, die im Gegenwartskino zwar keine Rolle spielen, aber als künstlerische Einflußgrößen detaillierte Betrachtung finden. Die unterschiedlichen Herangehensweisen der von ihm herausgestellten Filmemacher faßt Gras unter dem Oberbegriff »denaturalisierter Realismus« zusammen. Die Ambitionen von Individualisten wie Akin, Schmid, Dresen sowie das »Abenteuer X-Filme« (der Versuch von Tykwer, Becker, Levy, persönliche Sichtweisen und Publikumswirksamkeit zu vereinen) erfahren eine eher skeptische Würdigung, das »kommerzielle Kino« (hier finden sich Namen wie Eichinger, Wortmann, Buck, Roehler, Schweiger) wird summarisch und mitunter ausgesprochen naserümpfend abgehandelt. Gras’ Fokussierung auf den Kinofilm (der gleichwohl ohne Fernsehbeteiligung nicht denkbar wäre) sorgt dafür, daß Dominik Graf, zweifellos einer der wichtigsten deutschen Regisseure der letzen Jahrzehnte, zur unmaßgeblichen Randfigur schrumpft. Dafür räumt Gras dem Dokumentarfilm breiten Raum ein – auch Veteranen wie Volker Koepp oder Peter Nestler, deren Karrieren lange vor 1990 begannen, dürfen sich eingehender Erörterungen erfreuen. Auffallend ist Gras’ Fähigkeit, die Arbeit der von ihm vorgestellten Regisseure, ihre ästhetischen und intellektuellen Konzepte sowie ihre spezifischen Qualitäten oder Defizite, plastisch zu veranschaulichen. Immer wieder richtet sich das Augenmerk erfreulicherweise auch auf die Gewerke Kamera, Schnitt und Ton, deren Bedeutung für das künstlerische Endergebnis hervorgehoben wird. »Good Bye, Fassbinder!« ist ein gut lesbarer, wohlinformierter, faktenreicher, aktueller (aber leider unbebilderter) Überblick über die deutsche Filmlandschaft der letzten 25 Jahre; angesichts der Konzentration des Textes auf die Vorreiter des zeitgenössischen Autorenfilms wäre der Untertitel »Tendenzen des deutschen Kinofilms seit 1990« allerdings treffender.

7. Februar 2015

American Nightmare, German Angst

Fünf Filme von Gerd Oswald

Gerd Oswald wurde 1919 als Sohn eines berühmten Filmregisseurs in Berlin geboren. Der Vater Richard Oswald (»Anders als die Andern«, »Unheimliche Geschichten«, »Der Hauptmann von Köpenick«) sah sich als Jude nach 1933 seiner Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland beraubt. Die Familie emigrierte über Wien und Paris nach Hollywood. Gerd Oswald, im Filmatelier aufgewachsen, fand schnell Beschäftigung als Regieassistent, zuerst in Poverty-Row-Studios, später bei Meistern wie Billy Wilder, Henry Hathaway und George Stevens. 1956 erhielt er die Möglichkeit, seinen ersten Spielfilm zu inszenieren. In den nächsten beiden Jahren drehte Oswald die Hälfte seiner insgesamt 14 Arbeiten fürs Kino, günstig hergestellte Filme, darunter mehrere Thriller und Western. Der Berliner Produzent Artur Brauner, der schon die Emigranten Robert Siodmak, Fritz Lang und Gottfried Reinhardt unter Vertrag genommen hatte, warb auch Oswald an, der für einige Zeit in seine Heimat zurückkehrte. Später war er überwiegend für das amerikanische Fernsehen tätig, inszenierte Serienfolgen von »Star Trek« und »The Outer Limits«, »Bonanza« und »It Takes a Thief«. Seine letzte Spielfilmregie, die Adaption eines Simmel-Romans, übernahm er 1975, wiederum für einen deutschen Auftraggeber. Gerd Oswald, der stolz darauf war, daß fast in jedem seiner Filme »eine kleine antifaschistische Tendenz« zu finden sei, starb 1989 in Los Angeles. Hans-Christoph Blumenberg nannte ihn einen »exzellenten Handwerker mit einer barocken filmischen Fantasie«, einen »Irrläufer, Grenzgänger, Meister des Genrekinos«.

1956 | »A Kiss Before Dying« (»Ein Kuß vor dem Tode«)

»I'm a man with a shameful, sinister secret.« Bud Corliss (Robert Wagner), Korea-Kriegsheld und Student an einer kleinen Universität in Arizona, hadert mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen. Der kompromißlose Aufstiegswille des attraktiven Ehrgeizlings findet sein Ziel in Dorie Kingship (Joanne Woodward), der Tochter eines reichen Kupfergrubenbesitzers. Eine ungeplante Schwangerschaft und Dories Wunsch, die väterliche Vormundschaft abzustreifen, bringen Buds Vorhaben, sich dem strengen Magnaten als idealer Schwiegersohn zu präsentieren, ernsthaft in Gefahr. Ohne jeden Skrupel räumt der geschmeidige Karrierist daraufhin alles Hindernde aus dem Weg … Gerd Oswalds Debütfilm (nach dem Debütroman von Ira Levin) vermißt mit sachlicher Präzision die (selbst-)zerstörerischen Dimensionen des American Dream, zeigt das Doppelgesicht des einst von Jean de Crèvecœur besungenen »neuen Menschen, der nach neuen Prinzipien handelt«. Die Besetzung des kaltblütigen Psychopathen (»Haven't you heard? Love conquers all.«) mit einem archetypischen boy next door, die emotional beherrschte Erzählung in ungekünstelten CinemaScope-Kompositionen und starken, klaren Farben sowie die Inszenierung schwärzester Momente in hellem Sonnenschein verleihen dem späten Film noir ein hohes Maß an ironischer Distanz. Dazu paßt, daß Buds Streben nach Glück ihn schließlich in eben jene Grube führt, von der er immer geträumt hat.

1957 | »Crime of Passion« (»Das war Mord, Mr. Doyle«)

Ein straffer Thriller über das Scheitern einer Frau »in a world made by men and for men« … Als ambitionierte Journalistin hat Kathy Ferguson (Barbara Stanwyck) erreicht, was sie erreichen kann: eine tägliche Ratgeberkolumne bei der ›San Francisco Post‹ und große Popularität bei den Leser(inne)n. Der lustlose Chefredakteur erwartet von ihr freilich nicht mehr als »a regular dose of schmaltz«, und als der virile police lieutenant Bill Doyle (Sterling Hayden) aus Los Angeles in Erscheinung tritt, läuft die eingeschworene Junggesellin (»For marriage, I read life sentence.«) mit fliegenden Fahnen in den Ehestand über. Bald schon frustriert von der Dumpfheit des Vorstadtlebens (pokernde Männer, tratschende Frauen) und der dickfelligen Genügsamkeit ihres Gatten, sucht Kathy einen Ausweg aus dieser Hölle der Mittelmäßigkeit: In der Absicht, Bills Karriere zu befördern, knüpft sie Kontakt zu dessen Vorgesetztem, Inspektor Pope (Raymond Burr) … Auch wenn manches unverblümt ausgesprochen wird (»Don’t you have any vision?«), deutet Gerd Oswald persönliche Wechselbeziehungen – sexuelle Attraktion und intellektuelle Anziehung – zumeist nur diskret an und studiert, auf welche Art die animalischen Instinkte seiner Hauptfiguren – Kathy erscheint wie eine Raubkatze, Bill wie ein Bär, Pope wie ein Silberrücken – die Handlung an ein schlimmes Ende treiben: Mit einer gewaltsamen Tat provoziert Kathy einen Nachweis von Bills kriminalistischer Befähigung und damit die bittere Pointe des Films.

1958 | »Screaming Mimi« (»Die blonde Venus«)

Ein psychopathischer Messerstecher attackiert eine Blondine, die im Begriff steht, eine Dusche zu nehmen. Anders als Alfred Hitchcock, der eine ähnliche Situation zwei Jahre später zum fulminant durchkomponierten Mittel- und Höhepunkt eines Horrorthrillers formen wird, knallt Gerd Oswald die Szene in brutaler Kürze an den Anfang seines nachtschwarzen Pulp-Reißers. Tänzerin Virginia Wilson (Anita Ekberg) überlebt den Anschlag äußerlich unverletzt (ihr Stiefbruder erschießt den Angreifer), doch verwirrt sich ihr Geist über das schreckliche Erlebnis. »Screaming Mimi« verknüpft die Geschichte der Traumatisierten und des Nervenarztes Dr. Greenwood, der in manischer Liebe zu seiner Patientin entbrennt und ihr sein weiteres Leben widmet, mit den journalistischen Recherchen zu einer seltsamen Mordserie im Umfeld des (von Burlesque-Legende Gypsy Rose Lee geführten) Amüsierschuppens »El Madhouse« (!), wo die genesene (?) Virginia unter dem Namen Yolanda in einer spektakulären Show-(off)-Nummer auftritt. Burnett Guffeys schmuddlig-kontrast­reiche Schwarzweiß-Bilder verleihen der exaltierten Noir-Fantasie die Aura eines leicht unterbelichteten Klassikers; Ekberg (»the stripper who went to far«) bewegt sich (häufig in Begleitung einer imposanten Dogge namens ›Devil‹) wie eine Schlafwandlerin durch die spukhaft-grelle Erzählung, in die tödliche Obsessionen wie dunkle Schatten fallen, und wo die kitschige Porzellanfigur einer schreienden Frau von altem und von neuem Unheil kündet.

1959 | »Am Tag, als der Regen kam«

»Charlie Brown, der hat nur immer Unsinn im Sinn.« Eine Jugendbande in (West-)Berlin: Unter Führung des herrischen, dabei höchst ver­letzbaren Werner (trinkt nur Milch: Mario Adorf), überfallen manierliche Rowdys (alle gehen – der Tarnung halber – ordentlichen Berufen nach) lüsterne Autofahrer oder mürrische Geldboten (ausnahmslos unsympathische, bezasterte Kleinbürgertypen), planen schließlich einen bewaffneten Coup auf die Abendkasse eines Autobusdepots; sie wollen alles und zwar sofort, das schöne Leben heute und nicht später – schließlich weiß niemand, ob es nicht vielleicht morgen schon den großen (atomaren) Knall gibt. Einer der Jungs, Bob (Christian Wolff), der sich verliebt hat (in ein nettes Mädchen aus dem Osten), einer, der weiter denkt als an den Kick, an den Augenblick, will aussteigen, was natürlich nicht erlaubt ist, weswegen sein verzweifeltes Befreiungsmanöver in einer Tragödie enden muß … Der gebürtige Berliner Gerd Oswald nutzt die äußerlich und innerlich kaputte Stadt (die schäbigen Wohnlauben, die schuttigen Brachen, die Katakomben des zerstörten Reichstags) als Schauplatz eines dichten, visuell pointierten Noir-Krimis, der von Verlangen und Verbrechen erzählt, von abgewirtschafteten Vätern (schmierig-suberb: Gert Fröbe als versoffener Arzt ohne Approbation) und skeptischen Söhnen, die nicht so taff sind, wie sie glauben – und auch (metaphorisch) vom Regen, vom lang ersehnten, heiß erflehten, der eines Tages die Bäume erblühen, die Träume erwachen, die Glocken erklingen, von Liebe sie singen lassen wird.

1960 | »Schachnovelle«

Das Schicksal eines Wiener Aristokraten, der den Nazis nicht zu Diensten sein will: Werner von Basil (Curd Jürgens) half der katholischen Kirche, Kunstschätze in Sicherheit zu bringen, Kostbarkeiten, auf die sich nach dem »Anschluß« das Interesse der neuen Machthaber richtet. Einer von ihnen ist der platinblonde Gestapo-Karrierist Hans Berger (Hansjörg Felmy), der die Persönlichkeit des stolzen Basil zu brechen gedenkt, indem er ihn in strenge Einzelhaft sperrt: kein Gespräch, kein gedrucktes Wort, keinerlei geistige Anregung – Bedingungen, unter denen ein Kulturwesen die Willenskraft früher oder später verlieren muß … Gerd Oswald, als Jugendlicher aus der Heimat vertrieben, hat Entwurzelung und Unmenschlichkeit am eigenen Leib erlebt: Sicherlich auch aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen gelingt ihm das eindringliche Porträt eines zwangsweisen Widerständlers, dem ein zufällig ergattertes Schach-Lehrbuch (»150 Meisterpartien«) den isolierten Intellekt einerseits vor Austrocknung bewahrt, andererseits vollends zu zerrütten droht. Das Schachbrett wird für den Gefangenen gleichermaßen zum erlösenden Freiraum wie zum beschränkenden Gitternetz, aus dem er sich kaum mehr zu retten weiß. Indem er Stefan Zweigs Erzählung um eine ambivalente Frauenfigur bereichert, die zwischen den rivalisierenden Männern steht, verschiebt Oswald die poltisch-ideelle Thematik zusehends ins Melodramatische und beschert dem harten Kampf von Schwarz und Weiß eine eher zuckrige Auflösung.

4. Februar 2015

L

Buch | »Fritz Lang – Ich bin ein Augenmensch« von Norbert Grob (2014)

Geboren 1890 als Sohn eines Wiener Bauunternehmers, aufgewachsen in gutbürgerlichen Verhältnissen, früh begeistert vom Kinematographen, das Architekturstudium abgebrochen, nach Paris gegangen, um zu malen, viel Zeit im Kino verbracht, im Ersten Weltkrieg gekämpft und verwundet, Drehbücher verfaßt, nach Berlin übersiedelt, weiter geschrieben, bald schon selbst Regie geführt, mit 30 das erste Meisterwerk inszeniert: »Der müde Tod« – Fritz Lang gehörte zu denen, die zwar nicht die Grundlagen des Kinos aber seine Sprache, seinen Ausdrucksform, seine Artikulation imaginiert, erschaffen, verfeinert haben: ein Pionier. Langs erste tastende Schritte im Medium folgen noch keinen ausgetretenen Pfaden sondern den ersten tastenden Schritte des Mediums selbst, und wie das Medium bewegte sich Lang mit Siebenmeilenstiefeln voran (womit er wiederum das Medium bewegte): »Dr. Mabuse«, »Die Nibelungen«, »Metropolis«, »Spione«, »M« – Großfilme, Zeitbilder, Visionen, Experimente … Norbert Grob zeichnet in seiner Fritz-Lang-Biographie – es handelt sich um die erste deutsche Veröffentlichung dieser Art seit Michael Tötebergs ›rororo‹-Bändchen von 1985 – ausführlich das wechselvolle Privatleben des Regisseurs nach (ohne jemals ins Boulervardesk-Indezente abzugleiten) und erschließt mit leidenschaftlicher Sachkenntnis das filmische Schaffen (ohne zu irgendeinem Zeitpunkt in blinde Schwärmerei zu verfallen). Grob beginnt mit Langs erstem Deutschlandbesuch nach über 20jähriger Emigration im Jahre 1956, erzählt dann die bewegte Lebens- und Werkgeschichte zwischen Wien und Berlin, Paris und Hollywood in einer epischen Rückblende, um mit den ernüchternden Erfahrungen eines ungeliebten Heimkehrers, der späten Würdigung der gewaltigen kreativen Leistung (insbesondere durch die Kritiker der »Cahiers du cinéma«) und dem melancholischen Portrait des unbeirrten Künstlers als alter Mann zu schließen. Anschaulich schildert Grob Entstehung und Bedeutung der legendären (und weniger legendären) Filme, stellt das amerikanische Werk – darunter Klassiker wie »Fury«, »Scarlet Street«, »The Big Heat« – dabei (vollkommen zu Recht) auf die Höhe des deutschen, er porträtiert mit Verve die Wegbegleiter und Wegbereiter: Thea von Harbou und Marlene Dietrich, David O. Selznick und Harry Cohn, Artur Brauner und Jean-Luc Godard, den Stoffaffen Peter und Lilly Latté (mehr als vier Jahrzehnte lang die Frau an Fritzens Seite, die, trotz allem, an ebendieser bis zum Ende 1976 ausharrte), er weist mit besonderer Hingabe auf die Signaturen hin, mit der Lang (fast) jede seiner Arbeiten versah: In so gut wie allen Filmen ist Langs eigene Hand zu sehen, wie sie schreibt oder wie sie schießt, wie sie würgt oder wie sie ein Kreide-M auf einen Mantel stempelt. Lang, das macht Grob deutlich, war kein einfacher Charakter, oft genug wohl auch kein besonders netter Zeitgenosse: Er war ein egomaner Gesellschaftslöwe, ein ausgemachter Fatalist und ein unerträglicher Pedant; er war aber auch ein engagierter Antifaschist, der persönlich half, wo er konnte, er war uneitel genug, sein Monokel abzusetzen, wenn er mit einem Produzenten verhandelte, der Monokel verabscheute, er war seinen Freunden ein aufrichtiger Freund – und wäre er, so sagte er selbst, nicht so ein unerträglicher Pedant gewesen, dann hätte er nie einen guten Film gemacht. Norbert Grobs mit fundiertem Fachwissen geschriebene, hervorragend strukturierte, anregend lesbare Biographie bringt den Menschen und den Künstler Fritz Lang ganz nahe: ein Standardwerk.

2. Februar 2015

Wohlstand für (fast) alle

Zwei Fernsehspiele von Rainer Erler

1962 | »Seelenwanderung«

Die von Karl Wittlinger geschriebene »Parabel für das Fernsehen« blendet zurück in die frühen Nachkriegsjahre: Zwei Habenichtse, der dicke Bum und der dünne Axel (Wolfgang Reichmann und Hanns Lothar), sitzen zusammen in der Kneipe, saufen sich einen an, sinnieren über ihr trauriges Los. Bum identifiziert seine Nächsten­liebe als Ursache der Not: Eine Seele von Mensch sei zu gut für diese Welt. Dann solle er sich des Störfaktors doch entledigen, rät Axel. Also denkt Bum seine Seele in einen Schuhkarton, der, gut verschnürt, im Leihhaus für fünf Mark Pfandkredit versetzt wird. »Mit fünf Mark sind Sie dabei«, lautete ein berühmter Slogan der fünfziger Jahre. Auch Bum ist nun dabei und verwandelt, von allen Zwängen befreit, den kleinen Betrag in ein sagenhaftes Vermögen. Obwohl es von der Veräußerung einer Seele erzählt, läßt das Stück, halb Kabarett, halb Moralpredigt, weniger an Fausts Teufelspakt denken als an die Geschäfte von Peter Schlemihl, von Peter Munk, von Balduin (dem Studenten von Prag), die Schatten, Herz, Spiegelbild gegen Geld und Fortkommen tauschten. Bum freilich schließt den Handel nicht mit einem zweifelhaften Fremden sondern gleichsam mit sich selbst: Der rasante bundesdeutsche Aufschwung, so insinuiert »Seelenwanderung«, gründet auf dem mutwilligen Ausschalten von menschlicher Regung. Natürlich bleibt der Katzenjammer nicht aus, und schließlich ist es der auf der Strecke des Booms gebliebene Axel, der die arme Seele erlösen muß. Rainer Erler inszeniert seinen ersten abendfüllenden Film mit auffallender visueller Phantasie (Kamera: Günther Senftleben) als elegisch-ironisches Traktat über Wirtschaft und Wunder, über Metaphysik und Materialismus; die auf einer Müllhalde spielende große Abrechnungsszene zwischen den gewesenen Freunden weist voraus auf spätere, zivilisationskritische Werke des Regisseurs: Am Ende bleibt vom ganzen Wohlstand nichts als ein riesiger Haufen Dreck.

1963 | »Orden für die Wunderkinder«

Nach dem vierten Gefängnisaufenthalt beschließt Heiratsschwindler Ferdinand Ziegler (Carl-Heiz Schroth), das Metier zu wechseln. Angeregt durch die feierliche Atmosphäre einer Ordensverleihung, befördert sich der kultivierte ältere Herr kurzerhand zum Oberregierungsrat im Ministerium des Innern, organisiert entsprechendes Briefpapier samt Stempel und verleiht Verdienstkreuze an Staatsbürger, die (es) verdient haben – wobei er die solchermaßen Ausgezeichneten im gleichen Atemzug freundlichst um eine Kostenbeteiligung an der Übergabezeremonie ersucht. Der selbsternannte Amtsträger handelt (nicht ganz uneigennützig) im Sinne des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß, der das Verleihen von Ehrenzeichen als »einfaches Gebot der Staatsräson« bezeichnete, könnte es doch dazu beitragen »ein integrierendes Band zwischen dem Staat und seinen Bürgern zu knüpfen« und »somit die Staatsmoral stützen«. Rainer Erler zieht – mit einem kräftigen Seitenhieb auf Bürokratismus und Beamtenblindheit – den Wert der Dekorierungen einerseits unterhaltsam in Zweifel, pinselt der Klimbim doch vor allem die Bäuche derjenigen, die ihr Herz nur im Hinblick auf Prestige und Karriere an das zierende Blech hängen, andererseits beschreibt die elegante Satire das Knüpfen eben des von höchster Stelle beschworenen »integrierenden Bandes«, welches ethische Grundsätze allerdings eher abschnürt als aufschmückt. Die gestalterische Stilisierung der amüsanten Hochstapler(auto)biographie (bemerkenswert ist insbesondere die von Rolf Zehetbauer besorgte Ausstattung) betont das komisch-karikierende Element des Spiels, ohne jedoch dem Spottbild von bornierten Staatsdienern und ruhmsüchtigen Wohlstandsbürgern die kritische Schärfe zu nehmen.