12. Januar 2015

Framing the Fate

Zwei Filme (ein Diptychon) von Fritz Lang

1944 | »The Woman in the Window« (»Gefährliche Begegnung«)

Ein schwarzes Traumspiel: »Some Psychological Aspects of Homicide« heißt der Vortrag, den Richard Wanley (Edward G. Robinson) zu Beginn des Films am New Yorker Gotham College hält. Später, nachdem er Frau und Kinder in den Sommerurlaub verabschiedet hat, verbringt er einen beschaulichen Klubabend mit zwei Bekannten: Psychologe, Arzt und Staatsanwalt sprechen über das Altern, über »the end of brightness of life, the end of spirit and adventure«. Aber endet das Leben wirklich mit 40? Im Schaufenster der Kunsthandlung neben dem Klub erblickt Wanley das Bildnis einer Frau: »Extraordinary portrait, extraordinary woman, too.« Während der Betrachter das Gemälde versonnen-begehrlich studiert, erscheint in der Scheibe ein Spiegelbild, das der Gemalten überraschend ähnlich sieht: Das Glücksversprechen scheint lebendig geworden zu sein. Wanley folgt dem leibhaften Sirenenruf des Abenteuers, läßt sich von Alice Reed (Joan Bennett) Champagner servieren, beäugt die Brustwarzen des dream girls unter dem durchsichtigem schwarzen Stoff ihres Kleides. Unversehens verkehrt Fritz Lang den Traum in einen Alptraum: ein anderer Mann, eine wütende Attacke, verzweifelte Gegenwehr. Der Angegriffene sticht mit einer Schere zu, der Eindringling bricht tot zusammen. Statt der Erfüllung geheimer Sehnsüchte erlebt Wanley die Materialisation seiner schlimmsten Ängste. Mit sarkastischer Lakonie schildert »The Woman in the Window« die (einigermaßen stümperhaften) Versuche des erbarmungswürdigen Helden, seine Tat zu vertuschen, Spuren zu beseitigen, seine bürgerliche Existenz zu retten, sich aus Schuld und Verantwortung zu winden. Das Auftauchen eines gierigen Erpressers (Dan Duryea) ist für den Gehetzten schließlich zuviel: »I am too tired.« Indem er den Traumtänzer aus der Ausweglosigkeit seiner nächtlichen Fantasie zurück in die Wirklichkeit stürzen läßt, verwandelt Lang die absurde Tragödie zu guter Letzt in eine makabre Komödie: »It's 10:30, sir.«

1945 | »Scarlet Street« (»Straße der Versuchung«)

Ein schwarzes Kleinbürgerschicksal: Eigentlich ersehnte sich Christopher ›Chris‹ Cross (Edward G. Robinson) ein Leben als Künstler, doch er wurde Sonntagsmaler und Kassierer in einer New Yorker Privatbank. Just an jenem Abend, als ihn der Chef für »25 years of faithful service« mit einer goldenen Uhr belohnt, begegnet der gemüthafte Chris unter einer Hochbahnbrücke in Greenwich Village seinem Verhängnis: Katherine ›Kitty‹ March (Joan Bennett), eine attraktive Straßendirne, die sich als Schauspielerin ausgibt, wird – im Verein mit ihrem geschäftstüchtigen Luden Johnny Prince (Dan Duryea) – den gutgläubigen Schwarmgeist (»Every painting, if it’s any good, is a love affair.«) gnadenlos zugrunde richten. Zu Hause steht Chris unter dem Pantoffel seiner megärenhaften Ehefrau, von Kitty, die er glauben läßt, ein erfolgreicher Maler zu sein, sieht er sich bald schon um alles beraubt und betrogen: um Geld und um Liebe, um seine Kunst und um seinen Erfolg. Mit unbewegtem Blick verfolgt Fritz Lang den fatalen Weg des Protagonisten, der mit einem sehenden und mit einem blinden Auge in die Katastrophe geht. »They’ve got something, a certain peculiar … something«, heißt es vieldeutig über Chris’ Bilder, (die an Werke des Zöllners Rousseau erinnern), »but no perspective.« Bevor er völlig die Übersicht (und die Nerven) verliert, erschafft Chris sein Meisterwerk: das Bildnis der angebeteten (und so verachtungsvollen) Kitty. Er nennt es »Self Portrait«: Kunst als Spaltung und Verdoppelung, als Auflösung und Verschmelzung. Auf den Traum folgt das Erwachen. Auf Desillusion folgt Raserei. Auf Schuld folgt Sühne. Und mag der Mensch sich auch gerichtlicher Verurteilung entziehen, er entgeht nicht der höheren Gerechtigkeit: »No one escapes punishment.« Es sind keine Lichter der Hoffnung, die »Scarlet Street« schemenhaft erleuchten, es ist das Flackern der Hölle.

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