6. September 2014

Er wollte geliebt werden

Wiedergesehen auf VHS | »Wehner – die unerzählte Geschichte« von Heinrich Breloer (1993)

Herbert Wehner, Jahrgang 1906, Schuhmachersohn aus Dresden, in seiner Jugend erst Anarchist (»mit dem schwarzen Punkt im Herzen«), dann Parteikommunist, Protegé von Ernst Thälmann, Moskau-Emigrant, schuldiger Überlebender der großen Säuberungen, vom blutroten Glauben abgefallen, nach dem Krieg Sozialdemokrat, führend beteiligt am Umbau der SPD von der Arbeiter- zur Volkspartei, langjähriger Fraktionsvorsitzender im Bundestag, donnernde Krawalltüte und urteilssichere Mimose, geschickter Kanzlermacher und eisiger Kanzlerentmachter, Diener und Herrscher, Realist und – ja, auch: Träumer. Heinrich Breloer porträtiert die hochgradig faszinierende, extrem zwiespältige politische Jahrhundertfigur Wehner in einem zweiteiligen Film: »Die Nacht von Münster­eifel« leuchtet tief in den Betrieb einer parlamentarischen (und medialen) Demokratie, erzählt von Haßliebe (»Ich lasse mich für dich zerhacken!«) und Abrechnung (»Der Herr badet gerne lau.«) des radikal-cholerischen Taktikers Wehner (Heinz Baumann) zum und mit dem be­wundert-verachteten Strahlemann Willy Brandt; »Hotel Lux« blendet zurück in die prägende Frühgeschichte der Biographie, zeichnet den Weg des jungen Wehner (Ulrich Tukur) vom hitzköpfigen Verfechter der Herrschaftslosigkeit durch die knallharte Schule des Stalinismus in die Abgründe von Terror und Verrat bis zur – nicht wirklich seligmachenden – Abkehr bei letzter Gelegenheit. (»Wer einmal Kommunist war, den verfolgt Ihre gesittete Gesellschaft bis zum Lebensende!« ruft der sichtlich erbitterte Wehner 1975 den johlenden Christdemokraten im Bundestag zu.) Die beiden erzählerisch scheinbar unverbunden neben­einander stehenden und doch raffiniert miteinander verknüpften Teile dieser beispielhaften Geschichtsstunde(n) fügen sich zu dem vielschichtigen Bildnis einer der einflußreichsten und zugleich rätselhaftesten Persönlichkeiten der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Die typische Breloersche Mischung von Interviews (u. a. mit Rut Brandt, Wiebke Bruhns, Klaus Harpprecht, Lotte Loebinger, Ruth von Mayenburg, Greta Wehner, Karl Wienand), dokumentarischem Material und Spielszenen (Schwarzweiß-Kamera: Achim Poulheim / Musik: Hans Peter Ströer) bietet gleichermaßen aufkläre­risches Vergnügen und unterhaltsamen Erkenntnisgewinn.

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