9. März 2014

Die Welt von Gestern

Kino | »The Grand Budapest Hotel« von Wes Anderson (2014)

Ein Stück aus dem Tollhaus des alten Europa: Beschwingtheit und Morbidezza, gute Sitten und fiese Intrigen, Gemütlichkeit und Unfrieden, pastellfarbene Sahnetörtchen und schwarze Todesritter, Ewigkeit und Untergang. In der Geschichte des palastartigen Grand Budapest Hotel, in den Lebensbildern eines legendären Concierge und eines anstelligen Pagen, (zerr-)spiegelt sich die Geschichte eines ganzen Kontinents, eines Zeitalters trügerischer Beständigkeit, seines Glanzes, seines Verfalls. Wes Anderson reaktiviert mit großem künstlerischen Gewinn ein fast vergessenes Genre: die Ruritanian romance, die in einem fiktiven ostmitteleuropäischen Staat angesiedelte turbulente Abenteuerfantasie. Zubrowka heißt das gleichnishafte Nirgendwo bei Anderson, andere Namen auf der imaginären Landkarte waren Graustark oder Samavia, Strackenz oder Syldavien. Zubrowka, das ist Operette und Boulevard, Karussell und Puppenspiel, das ist Lubitsch und Lehár, aber Zubrowka ist auch Stroheim und Marx Brothers, es ist Groteske und Anarchie, Lachkabinett und Totentanz. Einhundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« zelebriert »The Grand Budapest Hotel« seinen doppelbödig-tragikomischen Eskapismus als schier endlose Abfolge von wohlkomponierten Frontalansichten: klar strukturierte Bilder einer ihrer selbst gewissen, scheinbar glücklichen Welt, die unweigerlich in Stücke fällt, um als literarisch-filmischer Wunsch(alp)traum neu zusammengesetzt zu werden.

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