19. März 2014

23. Juni 1975, 8 Uhr abends

Schau mit beiden Augen, schau. (Kein Film.)

Zum vierten oder fünften Mal in meinem Leben habe ich »Das Leben Gebrauchsanweisung« von Georges Perec gelesen. Das Innere eines Pariser Mietshauses, die Fassade abgerollt wie von einer Sardinendose, zehn Geschosse in der Höhe mal zehn Räume in der Breite, ein Setzkasten von Dingen und Menschen, von Geschichten und Beobachtungen, von Erfindungen und Zitaten, ein Katalog, ein Puzzle, ein Album, ein Labyrinth, ein Zettelkasten, ein Archiv, ein Roman, viele Romane. Liebe und Tod, Sehnsucht und Haß, Hoffnung und Scheitern, Sein und Zeit, Sammeln und Zerstreuen, Vergänglichkeit und Ewigkeit. Perec kreuzt Spiel und Plan, manische Ordnung und verschwenderische Phantasie. Warum überhaupt noch ein eigenes Leben leben, wenn doch schon alles in diesem Buch steht? Vielleicht weil das letzte Stück im letzten Puzzle nicht paßt, vielleicht weil das letzte, das einhundertste Kapitel fehlt, weil es immer wieder aufs Neue gilt, das passende Stück zu finden, das fehlende Kapitel zu schreiben, zu leben.

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