22. Januar 2014

Reden lassen

Zwei biographische Dokumentationen

»Die Macht der Bilder« von Ray Müller (1993)

Führer und Fische, Neger und Berge – die Welt der Leni R., ausgebreitet in einem monumental-erschöpfenden, gut dreistündigen Doku-Panorama. Die Riefenstahlsche Mischung aus stark begrenzter intellektueller Kapa­zität und politisch-moralischer Verblendung, aus unbestechlichem Blick fürs visuell Überwältigende und hochsensiblem Händchen für wirksame filmische Montage ist (um mit einem glücklosen Bundestagspräsidenten zu sprechen) »selbst aus der distanzierten Rückschau und in Kenntnis des Folgenden noch heute ein Faszinosum«. Zwischen Nürnberger Reichsparteitagsgelände und Berliner Olympiastadion, zwischen Alpenkamm und Nuba-Dorf, zwischen Korallenriff und Schneideraum gewährt Ray Müller der ebenso umstrittenen wie streitbaren alten Dame (die während der Dreharbeiten ihren 90. Geburts­tag feiert) viel Zeit und Raum, sich zu inszenieren, ihre Persönlichkeit vor der Kamera sprachlich wie gestisch zu enthüllen (»Das sind alles Dinge, über die ich gerne spreche – aber bei diesem Scheiß-Licht doch nicht!«), läßt dem Betrachter dabei reichlich Luft zur freien Meinungsbildung: »Die Macht der Bilder« übt zu keinem Zeitpunkt frontale Kritik am Studienobjekt; gerade darum gelingt es Müller, tief in die Abgründe eines eisernen (wenn auch nicht immer triumphierenden) künstleri­schen Willens zu loten.

»The Fog of War« von Errol Morris (2003)

Nach welchen Maßgaben werden Entscheidungen zum und im Kriege ge­troffen? Welche moralischen Maßstäbe gelten in militärischen Extrem­situationen? Wie weit muß sich auf »das Böse« einlassen, wer doch eigentlich »das Gute« will? Diese und weitere Fragen stellt Errol Morris einer der ambivalentesten amerikanischen Politikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: Robert McNamara, Harvard-Absolvent, WWII-Veteran, Ford-Manager, US-Verteidigungsminister unter JFK und LBJ. Antworten gibt es nicht in jedem Falle, denn wie sagt Medien-Profi McNamara: »Beantworte niemals die Fragen, die dir gestellt werden.« Daß der Film trotzdem von einigem Erkenntniswert ist, mag daran liegen, daß Morris sich dem kühlen Technokraten (»Empathize with your enemey.«) gleichsam »von innen« nähert, ihm Gelegenheit gibt, sein Denken und Fühlen vor der Kamera zu entwickeln. So entsteht aus dem Porträt eines herausragenden Protagonisten des »militärisch-industriellen Kom­plexes« ein Bild der politischen Klasse und ihrer (unserer) kriegerischen Welt. Morris verweigert sich konsequent griffiger Schwarz-Weiß-Malerei, zeichnet stattdessen die Realitäten in, bisweilen neblig verschleierten, Abstufungen von kaltem, metallisch schimmerndem Grau. Die Erzählung ist glasklar (aber nie vorhersehbar) strukturiert und bis ins letzte filmische Detail brillant (doch nie selbstverliebt) gestaltet. Die sehr reflektierten Aussagen McNamaras, der für die minutiöse Planung der Flächenbombardements Japans ebenso (mit)verant­wortlich war wie für die erstmalige Einführung von Sicherheitsgurten in Autos, werden ergänzt oder subtil konterkariert durch historisches Material – besonders beeindruckend: die Mitschnitte von Oval-Office-Gesprächen aus der Zeit des Vietnamkrieges. »The Fog of War« liefert keine einfachen Wahrheiten; Morris legt sein Material zur Prüfung vor: Aufklärung ohne Melodramatisierung und allwissende Sprüche.

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